Das "falsche" Sehen und die Staffelei

GeorgP

Aktives Mitglied
Ich möchte kurz berichten über einen Fehler, den ich jahrelang immer wieder gemacht habe, und kurz zeigen, welche Auswirkungen er konkret haben kann.

Die Ausgangssituation: häufig sitze ich beim Malen und Zeichnen am Tisch, das Blatt Papier liegt vor mir und ich blicke schräg von oben (etwa in einem Winkel von 45° oder weniger) auf meine Zeichnung. Alles ist gut und perfekt. Dann kommt der Moment, in dem ich meinen Erguss fotografiere oder einscanne. Und hoppla, da stimmt doch was nicht!

Beim Fotografieren schaue ich nicht schräg auf das Blatt, sondern bemühe mich senkrecht auf das Papier zu blicken. Durch die Veränderung des Blickwinkels hat man oft das Gefühl, dass sich die Geschichte verändert hat.

Das habe zum Anlass genommen, einen kleinen Versuch zu starten: Ich habe etwas, das gerade zur Hand war (eine Pfeife auf einem Blatt Papier), gezeichnet, und zwar aus einer absoluten Froschperspektive, die Nase klebte nahezu auf der Tischkante. Diese Skizze habe ich aus dem gleichen Winkel versucht zu fotografieren:

DSC07709.JPG

Über den künstlerischen Wert mögen sich meine Nachkommen streiten. Fakt ist: Das Foto entspricht dem, was ich gesehen habe. Danach habe ich das gleiche Bild noch einmal fotografiert, allerdings diesmal zur Bildebene, so wie es halt häufig gemacht wird. Und heraus kam dabei:

DSC07708.JPG

Es ist wirklich dasselbe gemalte Bild. Ihr könnt es gerne selbst ausprobieren: zeichnet aus der Froschperspektive ein Quadrat; versucht dabei (aus dieser Perspektive) abzuschätzen, dass die Kanten wirklich gleich lang sind. Dann schaut Ihr von oben auf das Gemälde - wahrscheinlich werdet Ihr kein Quadrat, sondern ein Rechteck finden.

Der Grund dafür liegt in den Tiefen der Gesetze der Perspektive. Parallele Linien in Richtung des "Horizonts" laufen zusammen. Abstände zwischen Punkten werden kürzer. Das gleicht man beim Sehen und Zeichnen automatisch aus, indem man in Richtung des Horizonts wachsen lässt.

Fazit: der Blickwinkel (auf das Bild) des Malers und des Fotografen sollte möglichst übereinstimmen. Wenn man möchte, dass das Foto von den Seiten her schön waagerecht und senkrecht abgebildet wird, muss man versuchen, auch beim Malen diesen Blickwinkel einzuhalten. - Das geht meist nur mit einer Staffelei. Es ist zu Anfang sicherlich gewöhnungsbedürftig, aber die Ölmaler werden mir (hoffentlich) bestätigen, dass man sich schnell an die neue Arbeitsweise gewöhnt.

Mittlerweile nutze ich bei (fast) allen Zeichnungen, Skizzen und Bildern eine neigbare Staffelei.
 

otti123

Senior Mitglied
Diese Gedanken habe ich mir so noch nie gemacht (Typ. Laie)
Danke, daß Du das so erklärt hast!
Ist bei abstrakten Bildern sicherlich zu vernachlässigen.
Die Perspektive an sich (also zusammanlaufende Front linien zum Fluchtpunkt, usw.) - ok, aber bei so "kleinen Dingen" bisher vernachlässigt- wieder was gelernt.
 

Jam_ART

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Deine Beobachtung , Umsetzung des Versuchs sowie Deine Analyse is absolut richtig @Georg.
Bei einem Portraitkurs mußten wir sitzend zeichnen . Wobei aber 2 Sessel benützt wurden ...einer zum Sitzen ( no na :080-cool: ) einer verkehrt mit der Lehne zum Zeichner davor , sodaß das Zeichenpapier ( auf einer stabilen Unterlage liegend bzw fixiert ) annähernd inder Ebene des Models auf die Lehne
aufgestützt werden konnte ..
 

Jam_ART

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@Georg....dieser Umstand der Betrachtungsebenen...oder Winkel läßt sich auch für 3D Zeichnungen und optische Täuschungen nützen...
 

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Andrea_justme

Gast
Sehr gut beobachtet, Georg. Es ist kaum glaubbar, was das ausmacht. Schön, dass du es so festgehalten und erläutert hast.
Ganz gerade zeichne ich nie mehr. Auch Aquarell zumindest in einem kleinen Winkel. Gelobt seien die frei neigbaren Staffeleien. :thumbsup:
 

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